
Wir alle lieben dystopische Zukunftsvisionen. Serien wie Black Mirror, The Handmaid’s Tale oder Severance sind einige der Beliebtesten. Und spielen meist in einer gar nicht so fernen Zukunft.
Aber ehrlich gesagt, fühlt sich inzwischen das Anschauen solcher Serien oft eher wie eine Dokumentation aktueller Ereignisse an, als wie Science-Fiction. Es geht nicht nur um Politik, sondern vor allem um Technologie und ihren Einfluss auf unser Leben und die Gesellschaft.
Als jemand der sich täglich mit digitaler Privatsphäre beschäftigt, finde ich es manchmal echt unheimlich, wenn ich die Zukunftsaussichten von Folgen von Black Mirror oder Bücher wie The Circle von Dave Eggers lese. Und leider ist in vielen Fällen, die dystopische Zukunft schon Realität.
1984
„Gute Science-Fiction ist nur für eine Weile Fiktion.“
Dieser Spruch trifft den Nagel auf den Kopf. Denn das Erfolgsrezept von dystopischer Science-Fiction ist, dass sie eigentlich nie wirklich von der Zukunft handelt – sondern von unserer Gegenwart, nur ein paar Schritte weitergedacht.
Ich glaube, es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Unternehmen bereit wären, das Gedächtnis ihrer Angestellten zu manipulieren, nur um bessere und produktivere Arbeiter zu haben. Viele Black Mirror-Folgen greifen deswegen aktuelle gesellschaftliche Probleme rund um Technologie auf – oder zeigen Entwicklungen, die längst Realität sind.
Wir leben längst in einer dystopischen Geschichte – nur ohne das „Fiktion“.
Dystopie
Hier sind einige typische Merkmale von dystopischen Geschichten:
- Überwachung
- Eingeschränkte Freiheit (vor allem Meinungs- und Redefreiheit)
- Keine individuelle Macht oder Wahlmöglichkeiten (Kastensystem, vorgegebene Lebenswege, keine Chance, das System zu ändern)
- Ständige Angst
- Das Narrativ alles sei perfekt und „utopisch“
Wenn du das auf unsere Gesellschaft überträgst, wird schnell klar: Wir sind auf dem Weg mittendrin zu stecken (auch wenn nicht jeder Punkt überall gleich stark zutrifft).
Es gibt immer mehr Stimmen, die selbstbewusst verkünden, dass Privatsphäre „tot“ sei und wir uns einfach mit dem Überwachungsstaat abfinden sollten – und ausgerechnet diejenigen, die davon am meisten profitieren, rufen das am lautesten.
Studien und Berichte zeigen, dass Menschen sich heute oft selbst zensieren, weil sie Angst haben, überwacht zu werden. Gleichzeitig erzählen uns Unternehmen und Regierungen, dass Verschlüsselung vor allem Kriminellen hilft und personalisierte Werbung das Internet „besser“ und „kostenlos“ macht.
Wer sich schon länger mit dem Thema beschäftigt, weiß: Das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Debatte um Privatsphäre ist lebendig wie eh und je.
Es gibt keine Belege dafür, dass mehr Überwachung zu weniger Kriminalität führt – und Behörden weigern sich regelmäßig, konkrete Zahlen zu nennen, wie sehr Verschlüsselung angeblich ihre Arbeit behindert.
Fachleute, mit denen ich gesprochen habe, sehen darin ohnehin kaum ein Problem. Und Werbung? Die schadet dem Internet oft mehr, als sie nützt – und ist meist nicht mal besonders effektiv.
Per Definition, leben wir längst in einer Dystopie.
Eine neue Hoffnung
Aber es ist noch nicht alles verloren. Ein zentrales Merkmal jeder Dystopie ist der Mangel an Selbstbestimmung und Selbstsouveränität. Und auch wenn es oft so wirkt, als hätten wir keine Kontrolle mehr, ist genau dieses Gefühl, nur ein weiterer Trick der großen Konzerne, um uns klein zuhalten und ihren Willen durchzusetzen.
Sie erzählen uns: „Das ist eben der Preis für ein kostenloses Internet“ oder „Es bringt doch sowieso nichts, sich zu wehren“ („Die wissen doch eh schon alles über mich“, oder?). Das ist Teil vom letzten Stichpunkt – die Illusion, wir seien machtlos. Aber das ist ein falsches Narrativ. Die Frage ist nur: Wie kommen wir da raus?
Einen einfachen Ausweg gibt es leider nicht. Ich kann dir nicht sagen lade dir diese oder jene App herunter und du bist ein wie ein anonymer Hacker nie mehr zu finden. Aber das heißt aber nicht, dass Widerstand schwer oder extrem aufwendig sein muss.
Es geht vielmehr darum, dass wir uns bewusst machen, dass wir durchaus eine Wahl haben. Wir können selbst entscheiden, wie unser Verhältnis zu den großen Tech-Konzernen aussehen soll – und dann aktiv daran arbeiten, das umzusetzen.
Werte und Grenzen
Der erste Schritt ist klar zu sein über deine Werte und Grenzen. Vielleicht hast du schon mal vom sogenannten „Thread-Model“ (Bedrohungsmodell) gehört – das ist ein Konzept aus der IT-Sicherheit. Es bedeutet: Niemand kann sich gegen alle Gefahren gleichzeitig schützen, deshalb ist es wichtig, die eigenen Prioritäten zu kennen. Überlege dir also, was dir wirklich wichtig ist und wo deine persönlichen Grenzen liegen.
Was brauchst du von deiner Technik? Ich zum Beispiel brauche eine Navigations-App, die Staus berücksichtigt, weil ich in einer Gegend mit ständigem Verkehrschaos lebe. Andere brauchen vielleicht eine Cloud um einfach Dateien zu sichern und zu teilen, andere brauchen diese oder jene App wegen dem Arbeitgeber.
Grenzen sind dagegen die Punkte, bei denen du sagst: „Das akzeptiere ich nicht, das Produkt kommt für mich nicht infrage, weil es zu sehr gegen meine Werte spricht.“ Für manche ist das zum Beispiel eine bestimmte Art der Datensammlung oder das Verhalten eines Unternehmens. Wenn eine Firma einen Datenleck vertuscht oder herunterspielt, ist das für mich ein klarer Dealbreaker.
Wichtig ist: Diese Kriterien sind sehr individuell. Jeder hat ein anderes Bedrohungsmodell, andere Bedürfnisse und andere Grenzen. Manche lehnen Apple komplett wegen ihrem geschlossenen System ab, während andere den Komfort schätzen. Beides ist völlig legitim.
Wenn du für dich geklärt hast, was dir wichtig ist, was du brauchst und wo deine Grenzen liegen, kommt der entscheidende Schritt. Ins Handeln kommen. Die meisten unerfüllten Wünsche scheitern nicht am Können, sondern daran, dass man nie wirklich loslegt. Viele sagen: „Ich möchte ein Buch schreiben“ oder „Ich will die Welt bereisen“, aber sie nehmen sich nie die Zeit, einen Plan zu machen und anzufangen. Sobald du weißt, wie deine digitale Privatsphäre aussehen soll, geht es darum, das auch umzusetzen.
Selbstbestimmte Zukunft
Es gibt unzählige Ressourcen zu diesem Thema. Es gibt Bücher (z.B. Das Privacy Handbuch), YouTube-Kanäle (z.B. Techlore), Podcasts (z.B. Watchman Privacy)– für jeden Lerntyp ist etwas dabei. Und neben digitaler Privatsphäre und Sicherheit gibt es natürlich auch verwandte Themen wie Digitaler Minimalismus, Produktivität oder Datensouveränität. Die sprengen hier den Rahmen, aber es lohnt sich, auch diese Aspekte im Blick zu behalten. Am Ende zählt: Jeder hat andere Prioritäten, Werte und Interessen.
Vielleicht ist dir Privatsphäre gar nicht so wichtig, aber du findest die Idee spannend, weniger Zeit am Handy zu verbringen und dich nicht ständig von Algorithmen lenken zu lassen. Auch das ist völlig in Ordnung.
Es ist nicht zu spät, sich gegen die Dystopie zu wehren. Das muss nicht immer politischer Aktivismus oder radikaler Protest sein – oft reicht es schon, sich selbst zu hinterfragen und gezielt nach Diensten und Tools zu suchen, die zu den eigenen Werten passen.
So verändern wir Schritt für Schritt unser digitales Leben zum Besseren. Es ist nicht immer einfach, aber wir alle verdienen Respekt, Wahlfreiheit und Kontrolle – online genauso wie im echten Leben.